Osnabrücker Totentanz

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Ein versteckter Totentanz - mitten in der Osnabrücker City

Osnabrücker Totentanz

Gut sichtbar, doch leicht zu übersehen, steht neben der Johanniskirche in Osnabrück eine Abluftsäule. Viele sind schon hunderte Male daran vorbeigelaufen, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Doch ein näherer Blick lohnt sich und offenbart so manches Wissenswerte! Wussten Sie, dass es sich hierbei eigentlich um einen modernen Totentanz handelt?

Erbaut wurde die Säule im Jahr 1931, um die Belüftung der unterirdischen Toiletten zu gewährleisten. Ursprünglich befand sich an dieser Stelle der Friedhof (im Mittelalter), später dann der Kirchhof von St. Johann. Doch von vorn:

Offenbar war es notwendig, auf dem Kirchhof eine öffentliche Toilette zu errichten. Den ersten Bau aus dem 19. Jahrhundert, oberirdisch und aus Blech, fand man in den 1920ern anstößig. So wurde eine unterirdische Toilettenanlage gebaut. Doch ohne genügende Belüftung war das keine saubere Sache. Eine Abluftsäule in Form einer Litfaßsäule wurde erwogen. Zunächst gab es die Idee, diese Säule mit Plakaten zu bestücken. Doch Werbung, mitten auf dem Kirchhof? Undenkbar und noch anstößiger als die alte Toilettenanlage aus Blech! Da die Form einer Säule aber gut geeignet war, entschied man sich, eine Säule zu errichten, die „die geschäftig vorübereilende Menschen zum
Verweilen aufforderte und zur Besinnlichkeit anregte“; sie sollte durchaus auch Humor zeigen.[1]

Doch wie um Himmels Willen kann eine Säule zur Besinnlichkeit anregen? – Durch eine Bildsprache, die jeder versteht! Entworfen durch den Architekt Theo Burlage und gefertigt von Wolfdietrich Stein, besteht die Säule aus Tonreliefplatten und Tonfiguren. Die im naiven Stil gestalteten Motive weisen als Bilder auf Sprichworte hin:

"Der Himmel hängt voller Geigen"
"Den Karren aus dem Dreck ziehen"
"Jeder kehre vor seiner eigenen Tür"
"An dem Ast sägen, auf dem man sitzt"
"Unter die Räder kommen"
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So z.B. „der Himmel hängt voller Geigen“ oder „den Karren aus dem Dreck ziehen“, „Jeder kehre vor seiner eigenen Tür“ und „An dem Ast sägen, auf dem man sitzt“. Neben dieser sehr unterhaltsamen Seite hat sie Säule auch ein ernstes Anliegen: Durch das doppelläufige Schriftband im obersten Teil der Säule teilt sie den Vorbeieilenden folgendes mit:

Der Tod frisst alle Menschenkind’, fragt nicht wes Stand und Ehr’ sie sind. Der Tod fragt nicht nach Zeit, würgt alt’ und junge Leut’“. Zwischen den beiden Teilen des Schriftbandes stehen Plastiken: der Tod sowie junge und alte Menschen, die jederzeit aus dem Leben gerissen werden können. Wie ist das zu verstehen?

Schauen wir auf den Ort, wo sich die Säule befindet, wird die Botschaft glasklar: Es handelt sich um eine Aufforderung zum bewussten Leben, was heute aktueller ist als je zuvor. Früher nannte man diesen Weckruf „memento mori“, auf deutsch: bedenke, dass du sterben musst. Dieser oberste Teil der Säule ist also ein Totentanz. Den genau dazu, die eigene Sterblichkeit ins Gedächnis zu rufen, dienten diese Darstellungsform. Sie kam im 14. Jahrhundert auf. Meist schmückten Totentänze als Reliefs oder Gemälde Kirchen oder auch Friedhofsmauern. Totentänze zeigten bildlich, dass der Tod jeden Menschen – egal welchen Standes, Alters oder Geschlechts – holt. Dabei waren die Totentänze selten zu ernst, denn ihre Darstellungen muteten oft skurril an. Dargestellt waren häufig Skelette, die mit Instrumenten versehen zum Tanz aufspielten – der letzte Tanz für all diejenigen, die sie mit ihrer Aufforderung zu folgen, beglückten.

Der Hinweis, das Leben zu genießen, ist auch heute noch gut zu gebrauchen. In diesem Sinne!

Quelle:

  • Hermann Poppe-Marquard: „Die Entlüftungssäule“. In: Katholische Kirchengemeinde St. Johann in Osnabrück (Hrsg.): St. Johann in Osnabrück. Osnabrück 1983, S. 84–85.

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